Gedanken einer Yogalehrerin


Pia Wolf

Nicht yogisch genug sein.

Über diesen Satz mache ich mir immer mal wieder Gedanken. Jetzt nicht jeden Tag, so viel Zeit habe ich nun auch wieder nicht.
Ab und zu kommt mir dieser Satz in den Kopf und ich frage mich dann, was das wohl bedeutet. Und das als Yogalehrerin.

Jetzt mal ehrlich, was ist eigentlich yogisch? Und wann ist man eine gute Yogalehrerin / ein guter Yogalehrer? Leben denn wirklich alle Yogalehrer* innen vegan, verzichten auf jeglichen Luxus und arbeiten „nur“ auf Spendenbasis?

Ich lebe weder vegan, noch vegetarisch. Und nein, ich esse nicht jeden Tag Fleisch. Aber ich esse es. Ich besitze ein Auto, wohne in einem Eigenheim, gehe einem festen Beruf nach, fluche beim Autofahren und nehme Geld für meine Yogaklassen. Und ich weiß von vielen anderen Yogalehrer*innen, dass sie das auch tun. Demnach passt dieser Gedanke schon mal nicht.

Sind alle Yogalehrenden spirituell und räuchern täglich ihren Wohnraum?

Ein kleines bisschen spirituell bin ich wohl, dass gebe ich zu. In Maßen und wohl dosiert. Wobei das der ein oder andere Nachbar wahrscheinlich anders sieht. Auch Räucherstäbchen zünde ich gerne an, allerdings muss der Raum passen. Auf der Terrasse und im Yogastudio auf jeden Fall. In meinen Kursen im Fitness Studio? Nein, der Raum ist viel zu klein und die meisten der Yogis und Yoginis möchten das auch nicht.

Also, was ist jetzt yogisch? Wer ist yogisch? Und kann eine(r) yogischer sein als andere?

Eine Antwort darauf ist wahrscheinlich schwer zu finden, weil dazu wohl jede und jeder eine andere Meinung hat.

Ich bin Yogalehrerin und liebe es, aber reicht das schon?

Wenn ich z.B. anderen Menschen erzähle, dass ich die „große“ Yogalehrer-Ausbildung erfolgreich absolviert habe und auch regelmäßig Yoga unterrichte, ernte ich schon mal ungläubige Blicke oder auch Sätze wie: „Jetzt echt? Du siehst gar nicht wie eine richtige Yogalehrerin aus…!“

Das sind dann die Momente, in denen ich mich frage, was genau eine Yogalehrerin ausmacht und wie ich yogischer wirken kann. Und genau da fängt es ja an. Yoga interessiert es nicht, wie Du aussiehst, was Du anhast, wieviel Du wiegst oder wo Du herkommst. Yoga ist es egal, ob Du einen Handstand, einen Spagat, den Skorpion oder ob Du Dir mit Deinem dicken Onkel im Ohr kratzen kannst.

Yogisch zu sein bedeutet nicht, dass Du nur noch vegan leben darfst, es bedeutet nicht, dass Du jeden Tag üben oder stundenlang meditieren musst, um zur Erleuchtung zu gelangen. Es bedeutet nicht, die neuesten Leggings zu tragen, möglichst dünn zu sein, die perfekte Matte zu besitzen. Auch ist es nicht wichtig, ob Du weiblich, männlich, divers, weiß oder schwarz bist.

Yogisch zu sein bedeutet anzunehmen was da ist, wahrzunehmen was kommt und Klarheit darüber zuhaben was war. Yogisch zu sein bedeutet im Moment zu sein, klar zu sein und das nicht nur auf der Matte, sondern im Leben und das möglichst jeden Tag.

Solltest Du mal taumeln, setz Dich hin, Yogi oder nicht, nimm ein paar tiefe Atemzüge und spüre in Dich hinein. Dann wirst Du sehen, spüren, fühlen und wahrnehmen was in diesem Augenblick wichtig und richtig ist.